Mani@Gunti „Ver-Netzen“ mit Sponti-Band


Titelbild
Mitglieder sind sechs gereiftere Herren der Sponti-Generation

1. Der Aktionskünstler und Maler Guntram Prochaska
2. der Saxofonist Laszlo Wolpert
3. der Keyboarder und Pianist Jörg Schöllhorn
4. der Schlagzeuger Hans Michaelis
5. der Bassist und Gitarrist Dieter Schuld
6. der Zupfinstrumentenspieler Meck Geyer

Die Besetzung bietet das klassische Blues-und Popularmusik-Instrumentarium: Gitarren, Schlagzeug, Bass, Keyboards, ein Sänger und ein Saxofon. Man nimmt eine entsprechende Erwartungshaltung ein, stellt sich auf gepflegten Lounch-Jazz ein… und wird gleich aus dem Fauteuil gehoben, denn erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.

Hör-Surf-Erfahrung von „Gunti 5“:

Es hat was von diesen Schaustellern, wie sie früher mit den vielen kleinen Wanderzirkussen durch die Lande reisten. Guntram Prochaska lädt die Vorübergehenden zu einer Märchenstunde der besonderen Art ein: „Unsere Reise der Vernetzung geht weiter“, lockt er das Publikum, dreht sich um und schwebt kichernd davon. Im Entschwinden verliert er ein paar klirrende Gitarren- und Beckensounds, sie fallen ihm förmlich aus den gefüllten Taschen… Sphärenklänge aus dem Keyboard greifen den Zuhörer auf und tragen ihn ins heurige Jahr des Affen.
Der Feueraffe bleibt nicht einfach zu Hause, erzählt Gunti, der Affe, der mit einem blauen Auge namens „Nazar“ böse Geister abwendet. Er ist unterwegs und gut zu hören, im Dschungel, der alsbald auch vernehmbar wird mit Papageienschreien und dem endlosen Zirpen unbekannter Arten. Der Affengeist rumpelt durch die Gegenden. Sein blaues Auge sieht die „halbnackten Wahrheiten“…, grummelt vor sich hin „Man kann doch nicht einfach alles ignorieren, was da ist“ und wird überschwemmt von tausend musikalischen Zeichen und Informationen… wie eine Woge gehen sie über ihn hinweg.
Die musikalische „Gischt“ findet sich zusammen in neuen Sounds, etwa afrikanisch wirkenden, zu denen Laszlo Wolpert eine Solo-Session auf dem Saxofon spielt. Und dann singt Gunti das Programm der Improvisationsband, „Wir wollen“ ruft er und wie sie wollen: „Mit ökologisch-technologisch-prototypischer, postmoderner Energie, antidepressiv, “ setzt über in Sprechgesang… „lauk-dan-sin-ka-naer…“, Zupfsession folgt, umspielt von tonalen E-modal geführten Piano-Akkorden und Saxofonseufzern, die sich von einem langsamen Schlagzeugmarsch anlocken und führen lassen. Der Feueraffe schnarcht im Hintergrund, redet im Schlaf Unverständliches, Zungenbrecherisches, Englisch, Französisch, Spanisch, Russisch, Zulu, Honkitonk, ob man wohl im Weltraum surft, oje, wo ist der Raumanzug, die E-Gitarren-Maschienpiepser und –brüller, diesen Ticken der Trommeln und Becken und die echte Dosenstimme, die die gängig-konstruktiv-esoterischen Lebenslügen, die in die Schädel gehämmert werden, die die „Vernetzung“ ermöglichen, „weil man diese netten Dinge in die Welt spuckt“, Guntram verfällt in das Tremolo herzschmerzlicher Schlager. Die Band begleitet ironisch den Song von „all den Vernett“, ja all den „TzTz“, man hört es spucken oder spuken… all den „Tzsten“. Der „allmächtige Informationsüberträger“, der alle Gebrechen heilt und alle Menschen isoliert, denn niemand braucht mehr einen anderen oder etwas anderes, weil dieser „unsichtbare Jemand“ der da steht, – selbst die „Badewanne kachelt sich selber“ unter seinem Einfluss - , allen alles ermöglicht, was sie sich für sich selbst wünschen. „Ich sehe aus wie ein Mensch, aber ich bin kein Mensch“, ruft diese Unsichtbare aus. Er ist ein Roboter und fängt an, im japanischen Duktus zu lallen. Die Band spielt Spacemusik, Gunti stimmt ein Volkslied auf die Natur auf dem Bildschirm an und fragt nach Paralleluniversen… von überallher funkt es aus dem All…



Stilistische Einordnung

Die Musik und die Sprachanteile von Guntis Spontiband sind vollständig frei improvisiert und folgen zunächst den Anfangsimpulsen durch Guntram Prochaska, die verbale metaphorische Assoziationsketten bilden. Diese Technik erinnert an die musikalischen Sprechexperimente Shelley Hirschs https://www.youtube.com/watch?v=vR9b2Q9dg1E, hat auch etwas von Al Jarreaus Scat-Stil, dies aber selbstverständlich very German. Die Band greift die Text-und-Sprach-Vorgaben Guntram Prochaskas auf und wirkt auf sie zurück. Dies geschieht mit den traditionellen Mitteln der kollektiven Improvisation und der Sessions der einzelnen Instrumentalisten, die von den anderen Spielern begleitet werden. Die Band greift dabei in den Methodenkoffer der modernen und postmodernen Stile und Techniken der Jazzmusik. Die sprachlichen Bilder wirken darin fort in der Art von psychedelic waves fort. Eins gibt das andere, ein musikalisches Pattern ruft das nächste oder ein sprachliches Zeichen hervor und umgekehrt. Wir treffen auf Bebop-, Free-Jazz-, World-Jazz- , Jazzrock- und M-Base-Jazz-Elemente… Gunti schiebt aber auch gerne mal ein kleines Schlagermotiv ein, ironische Anleihen aus Pop-, Liedermacher- und Latinevergreens grüßen zwischendurch wie kleine Springteufelchen ins musikalische Geschehen… ein bunter Stilmix also, vergnügt, unbesorgt, ganz im Sinne des homo ludens, des spielenden Menschen. Die Musik ist durchweg dicht und auf einem hohen energetischen Level, lyrische Partien sind seltener. Die professionellen handwerklichen Fähigkeiten, die dazu notwendig sind, diese Collagen zu spielen, machen uns die sechs erfahrenen „Grufties“ vergessen, man lässt sich von dem kurzweiligen Dahinfließen einfach mitziehen.
Das improvisatorische Spiel findet auf einer klaren rhythmischen Basis statt, die sich kaleidoskopartig „weiterdreht“ und deren Wandlung abwechselnd von allen Spielern initiiert wird.
Es ist für Freunde postmoderner Jazz- und Rock-Klassik ein Hörvergnügen.


Spacige Eigenheiten oder Wo steht der kosmische Grufti?

Auffallend an Guntis Spontiband ist die thematische Ausrichtung: Guntis Sprechgesang, den die Musiker punktgenau „parieren“ ist spacig, handelt von Computern, Robotern, magischen Gestalten, dem Ersatz des Menschen im Kosmos durch seine eigenen Geschöpfe, die er sich erzeugte, um sich noch besser in diesem endlichen Erdenleben einzurichten, umringt von selbstgebauten dienstbaren Geistern, die irgendwann aus dem Ruder laufen und ihn überflüssig machen. Ihn, der ja doch irgendwann gehen muss und alles, was er hier aufgebaut hat, hinter sich lassen muss. Aber was lässt er hinter sich? So lustig die Musik dieser Band rüberkommt, es ist doch eine ernste Botschaft, die in all diesen Tönen und Schlägen transportiert wird: nämlich, dass der Mensch sich vielleicht doch nicht einfach eines Tages aus dem Müllhaufen, den er erzeugt hat, davonschleichen kann…
Die Satzfetzen und Gedankensplitter, Grunzen, Rattern und Maschinenbrummen, Elektrosounds und Geisterstimmen ergeben zusammen eine manchmal unheimlich-chaotische, kalte, fast kriegerische Atmosphäre.

Die Band besteht nur aus Männern und reflektiert eine Männer-Thematik: das schwierige und entfremdete Verhältnis des homo faber, des Baumeisters, zur Welt. Gunti singt und krächzt das auch direkt in die Mikros. Nicht wie einst Grönemeyer in seinem Lied „Wann ist ein Mann ein Mann?“ Sondern absurder, sarkastischer und ohne maskulines Selbstmitleid. Nach einem langen Gacker-Intro startet er seine Männer-Hymne: „Müllmänner! Startmänner! Weihnachtsmänner! Kaufmänner! Erstmänner! Zweitmänner! Männer halt! Männer halt! Jaaaaa…. Zeitungsmänner! Marsmänner! Mondmänner! Männer halt!“ Begleitet von einem Saxofon-Wolfsgeheul, das übergeht in ein Saxofonsolo in vielen Pirouetten und von einem geraden Keyboard-und Schlagzeug-Bauklotz-Rhythm unterstützt wird…
Der Mann als Funktion seiner eigenen Diskurse, Deduktionen und Analysen, unrettbar in der Selbstauflösung begriffen: „Mit ökologisch-technologisch-prototypisch-postmoderner Energie…antidepressiv...“ Und danach geht es weiter im Gunti-Scat… „Ja! Ja! Ja! Ja! Jaaa! Wir wollen, wollen, wollen, wollen, wollen…“


Der Bandname „Sponti-Band“

Der Bandname „Sponti-Band“ greift den Begriff „Sponti“ auf, der in den jungen Erwachsenenjahren der Musiker en vogue war: der „Sponti“, ein Vertreter derjenigen Apo-Typen, die die spontane Formation der Massen für das revolutionäre Kernelement hielten. Für die Band älter gewordener Sponti-Gruftis bedeutet das, sich nach einem langen Berufsleben als Musiker und Künstler mit vielen Plänen, Aufträgen und Zwängen erneut spontan zu vernetzen wie einst in der Jugend, doch diesmal mit einem Koffer voller Erfahrungen. Eine Reminiszenz an die Leichtigkeit der Jugendkultur und ihre Träume und Illusionen, aber nicht im Stile des wahlloser Ratlosigkeit oder gar eines künstlerisch-etablierten „Liftings“, um wieder da anzukommen, wo man angefangen hatte, sondern um jetzt ein Sponti-tum auf einer höheren Ebene durchzuführen. Anders: Erst jetzt ist man überhaupt reif und routiniert genug für eine Spontiband…

„VernetZen“ ist hier das Programm, ein Männerprogramm, ein Seniorenprogramm im besten Sinne. Vom Baumeister, der alles Lebendige in Bausteine auflöst und nach seinem Willen neu zusammensetzt, entseelt, aber geformt, ist man längst abgekommen. Spirituelle Gedanken prägen diese Musik: Guntram Prochaska und seine Instrumentalisten erfinden heute beim Vernet-Zen neue Zen-Koans, um an einem unbekannten Ziel anzukommen, wie alles Improvisierte. Die Kunst ist es, das Ziel, das sich einstellt, persönlich und gemeinsam mit Sinn zu füllen.